Wenn die Medien alles verschenken, zerstören sie sich selbst

Von Rene Reinisch

Seit Beginn der Zeitungskrise suchen Verlage nach Wegen, um in Zukunft überleben zu können. Dabei kämpfen sie gegen eine Umsonst-Kultur im Web und müssen gleichzeitig am Puls der Zeit bleiben. Über die aktuellen Digitalisierungsstrategien des Kölner Stadt-Anzeigers berichtet in einem Interview Michael Krechting, der Ressortleiter für Digitales.

 

„In zehn Jahren gibt es keine Zeitungen und Magazine mehr“ – diese Prophezeiung, die Bill Gates, der ehemalige Chef von Microsoft, 1990 machte, hat sich bis heute nicht bewahrheitet. Dennoch hat sich der Stellenwert einer gedruckten Zeitung im Zeitalter der Digitalisierung stark verändert. Wenige Jahre nach Bill Gates’ nur vermeintlich visionären Worten begannen deutsche Zeitungsverlage, ihre Inhalte kostenlos ins Netz zu stellen. Zunächst noch ganz klassisch finanziert durch Einnahmen aus Kleinanzeigenverkauf, Werbung und Vertrieb ihrer Printprodukte.

 

Vor allem die Werbung in Zeitungen stellte eine sichere und lukrative Einnahmequelle dar. Zwei Drittel der Verlagseinnahmen wurden mit ihr erzielt. Im Jahr 2000 erreichten die Verlage allein mit Werbung einen Umsatz von 6,6 Mrd. Euro. Im Anzeigenmarkt wuchs jedoch das Web schnell zum Konkurrenten heran, insbesondere im Immobiliengeschäft und beim Kfz-Handel. Diese beiden Sparten sind für die Zeitung inzwischen fast vollständig verloren. Im Jahr 2011 erreichten die Print-Verlage mit dem Verkauf von Werbeflächen und Kleinanzeigen nur noch einen Umsatz von 3,5 Mrd. Euro. Das Web ist der Zeitung auch in Sachen Aktualität voraus, sie genießt nicht mehr die alleinige Aufmerksamkeit auf dem Markt. Journalistische Inhalte werden dort zudem kostenlos angeboten, auch dies ist teilweise für den Rückgang der verkauften Auflagen im Printbereich verantwortlich.

 

Paid Content auf dem Vormarsch

Deshalb erörtern viele Verlage seit einigen Jahren neue Strategien und Wege der Finanzierung. Um der „Kostenlos-Kultur“, die sich im Web etabliert hat, und den sinkenden Einnahmen entgegenzuwirken, führten einige Zeitungen, allen voran die „New York Times“ (NYT) und in Deutschland die „Bild“, Bezahlsysteme für ihre Online-Angebote ein. Am weitesten verbreitet ist aktuell das „Freemium-Modell“. Dabei bleibt ein Teil der Artikel kostenfrei, während der Rest des Online-Angebotes nur nach Erwerb eines Tagespasses oder Abos zugänglich wird. Aus Lesern sollen zahlende Kunden werden. Der Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart drückte es in einem Interview 2010 folgendermaßen aus: „Ich glaube nicht an die Umsonst-Kultur. Wenn die Medien alles verschenken, zerstören sie sich selbst. Eine Brauerei, die jeden Tag Freibier anzapft, kann zwar abends damit prahlen, dass sie viele Hektoliter unters Volk gebracht hat, aber das Ende dieser Firmenpolitik ist klar: Das Volk ist betrunken und die Brauerei pleite.“

 

Am Beispiel von mobilen Endgeräten wird deutlich, dass die Leser bereit sind, für journalistische Inhalte in Verbindung mit neuen Darstellungsmöglichkeiten und einer attraktiven Technik Geld auszugeben. Die digitalen Produkte können helfen, Reichweite und eine Kundenbindung aufzubauen, die an anderer Stelle zurückgeht. Deshalb sind heute Paid-Content-Strategien aktueller denn je. Fast jeder Verlag spielt mit dem Gedanken, diese einzuführen oder hat es bereits in irgendeiner Form getan.

 

Individuelle Lösungsstrategien am besten

Inzwischen weiß man aber, dass es keine Paid-Content-Strategie gibt, die für alle gleichermaßen funktionieren würde. Was bei der NYT mit fast 30 Millionen Lesern weltweit zum Erfolg führt, kann bei einem regionalen Blatt das Gegenteil bewirken. Zeitungen mit unterschiedlichen Profilen, verschiedenen Inhalten und Konsumenten, die differenzierte Bedürfnisse haben, brauchen auf Dauer mehr als nur Paid Content, um zu überleben. Bisher können die Einnahmen aus der mobilen Nutzung in den meisten Fällen die Umsatzeinbußen, die u.a. durch rückläufige Einnahmen aus dem Printgeschäft entstanden sind, nicht auffangen. Um nicht an Aufmerksamkeit zu verlieren, sind die Verlage gezwungen, auf die veränderte Medienwelt zu reagieren und ihre Strategien und Geschäftsmodelle an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Nicht zuletzt müssen sie die Rolle des eigenen Medienhauses selbst untersuchen. Gefragt ist das richtige Gespür für Innovationen und eine originelle Art des multimedialen Storytellings.

 

Auch das in Köln ansässige Verlagshaus M. DuMont Schauberg (MDS) ist mit dem Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) längst im digitalen Zeitalter angekommen. Als erste regionale Zeitung in Deutschland hat der KStA eine kostenpflichtige Tablet–App auf den Markt gebracht, besaß schon früh eine iPad-Redaktion und wurde damit zum Vorreiter. Im November 2013 wurde bekannt, dass die App mit dem „European Newspaper Award“ ausgezeichnet wurde. Zwei Monate zuvor wurde sie unter der Leitung von Michael Krechting, dem Ressortleiter für Digitales beim KStA, sowie Patrick Wölke, dem Geschäftsführer von DuMont Net, neu gestaltet.

 

Mit Michael Krechting sprechen wir über die aktuellen Digitalisierungsstrategien des MDS und des Kölner Stadt-Anzeiger.

Herr Krechting, BILD bzw. bild.de hat als erste Zeitung in Deutschland mit ihrer Paid-Content-Offensive vorgemacht, wie es gehen könnte. In den DuMont-Plänen von Patrick Wölke ist von Paid Content zur Zeit wenig die Rede. Warum diese Zurückhaltung?

 

Michael Krechting: Von Zurückhaltung kann aus meiner Sicht keine Rede sein. Wir prüfen nur sehr genau, mit welchem Modell, welchem Angebot und welcher Technik wir ins Paid-Content-Zeitalter starten. Dabei achten wir auch sehr darauf, eine Entwicklung nicht zu gefährden, die gerade in diesem Jahr beachtenswert war: das starke Wachstum im Bereich der Online-Werbung.

Gibt es diesbezüglich schon konkrete Pläne?

 

Ja, wir arbeiten an Modellen, wie wir mit speziell fürs mobile Angebot geschaffenen Inhalten bei unseren Nutzern punkten können. Der Anteil der Nutzung unserer für das Smartphone optimierten Auftritte an der Gesamtreichweite von z.B. ksta.de hat sich alleine im letzten Halbjahr 2013 fast verdreifacht. Wir spüren, dass unser Mobile-Angebot täglich wichtiger wird. Deswegen hat MDS in diesem Jahr alle Mobilportale einem Relaunch unterzogen. Hinzukommen werden Smartphone-Apps. Unter anderem wissen wir, dass die „Peaks“ der mobilen Nutzung unserer Webseiten zu anderen Tageszeiten stattfinden als im stationären Web: Unsere Mobile-Nutzer sind vor allem zwischen 5 und 7 Uhr morgens und abends nach 20 Uhr auf unseren Angeboten, während im stationären Web immer noch die klassische Büronutzung eine wichtige Rolle spielt. Auf diese Besonderheiten der mobilen Nutzung müssen wir uns mit bestimmten Angeboten und Inhalten einstellen.

 

Und wie möchte MDS mit journalistischen Inhalten in Zukunft Geld verdienen?

Wer im World Wide Web auffallen will, sollte auf ein Alleinstellungsmerkmal setzen, um nicht in der Masse zu verschwinden. Stichwort: „Unique Inhalte“. Eine Zeitung wie der Kölner Stadt-Anzeiger hat prinzipiell ein großes Potenzial an diesen einzigartigen Inhalten: Unsere Stärke gerade in der lokalen Berichterstattung und im lokalen Service ist ein Pfund, mit dem wir zukünftig auch im Internet noch stärker wuchern wollen. Dabei geht es nicht darum, einfach Zeitungsinhalte 1:1 im Web auszuspielen. Aber wenn wir es schaffen, unseren Pool an Inhalten, die von einer gerade im lokalen Bereich sehr gut informierten Redaktion zur Verfügung gestellt werden, noch mediengerechter und der Bedarfssituation von Nutzern im Internet angepasst in den digitalen Medien geschickt zu platzieren, ist das eine große Chance für uns.

 

An welche Finanzierungsstrategie denken Sie dabei?

Wir arbeiten weiter an einem Paid-Content-Modell für den KStA und verfolgen dabei unter anderem den Gedanken, mit speziellen Premium-Inhalten z.B. aus den Bereichen lokale Information und lokaler Service (neue) Nutzer anzusprechen und sie auf diesem Weg von unseren Bezahlangeboten zu überzeugen. Sprich: Es geht nicht darum, einfach bestehende Inhalte oder eventuell noch mehr Inhalte aus der gedruckten Ausgabe hinter eine Paywall zu stellen, sondern wir denken darüber nach, wie wir spezielle digitale Angebotspakete, Dossiers und Premiuminhalte schaffen können, die Nutzer in ihrer speziellen lokalen Bedarfssituation („Welche ist die beste Schule in meiner Nachbarschaft?“) ansprechen.

 

Das braucht sicher noch Zeit. Wie reagiert MDS aktuell auf den Rückgang der Anzeigenerlöse? Außer, wie neulich bekannt wurde, mit betriebsbedingten Kündigungen?

 

Wir reagieren digital mit einer fortwährenden Fokussierung auf den Reichweitenausbau unserer Internetangebote, um so im Online-Werbemarkt weiter ein hohes Umsatzwachstum zu schaffen. Zunächst einmal wollen wir die multimediale Produktion von Inhalten aus dem neuen Newsroom weiter ausbauen und dabei, wie schon erwähnt, auch das regionale Profil des Angebots weiter stärken. Dies ist ein klares Ziel der Chefredaktion und der digitalen Leitungsebene für das Jahr 2014. Hinzu kommt als Aufgabe das Heben weiterer Erlöspotenziale, z.B. durch unsere mehrfach ausgezeichnete Tablet-App und weitere Paid-Content-Angebote. Schon sehr bald wollen wir mit allen Web-Angeboten der Zeitungsgruppe profitabel arbeiten und so im Gesamtkontext der Mediengruppe zur Wirtschaftlichkeit beizutragen.

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