Wenn es eine digitale Zukunft in menschlicher Gestalt gibt, dann sind das die Kinder und Schüler von heute – Digital Natives. Und weil sie mit Digitalisierung in nahezu allen Lebensbereichen aufwachsen, befinden sich auch die Lehrmethoden an Schulen im digitalen Wandel. Wie diese Methoden aussehen können? Eine Musikstunde der KAS verschafft einen Einblick.
Erster Schultag nach den Sommerferien: André Spang zeigt seinen Lesern unter der Überschrift „#Back2school: #ipadKAS reloaded!“ den Inhalt seiner Schultasche. Bücher, Stifte und Papier? Fehl am Platz. In Spangs Schultasche befindet sich stattdessen ein iPad inklusive Zubehör – sonst nichts. Was Spang mit dem Hashtag „ipadKAS“ meint, muss er auf seinem Blog niemandem mehr erklären.
Der 47-Jährige ist Lehrer an der Kaiserin-Augusta-Schule Köln (KAS) und unterrichtet dort Musik und Religion. Er hat 2011 dazu beigetragen, dass die KAS als erste Schule Deutschlands 20 mobile Endgeräte – iPads – bekommt, gesponsert vom eigenen Förderverein. Und diese nutzt er in beinahe jeder Unterrichtsstunde. Wie dieser Einsatz in der Praxis aussieht, kann man auf seinem Blog regelmäßig lesen. In Fortbildungen informiert er seine direkten Kollegen und die anderer Schulen in ganz Deutschland. Sogar Lehrer einer polnischen Schule haben seinen Unterricht besucht, um seine Methodik kennenzulernen. Und da mir diese Fülle an virtuellen Infos noch nicht ausreichte, folgte ich André Spangs Einladung in den Musikunterricht der 11. Klasse.
Umgeben von Digital Natives
Schon im Flur des Gebäudes wird klar: Es hat sich einiges geändert, seitdem ich die Schule besucht habe. Hier hat nahezu jeder in der Pause sein Smartphone in der Hand. Überrascht jetzt aber nicht wirklich. Im Unterricht dann aber gleich die Ansage: „Handys vom Tisch!“ Der Lehrer bespricht mit „den 11-ern“ das Vorhaben der heutigen Stunde. Seit ein paar Wochen produzieren die Jugendlichen des Musik-Grundkurses jeden Donnerstag via GooglePlus Hangout ihr eigenes Bildungs-TV.
Schülerin Lisa moderiert die zwei- bis dreiminütigen Informationsvideos der Sendung „Köln – Musik – Menschen“. Die Clips, deren Inhalte jeweils von Zweiergruppen recherchiert und ausgearbeitet werden, sollen heute Erklär-Texte bekommen. Ein paar andere Schülerinnen kümmern sich um Tumblr-Posts und wieder andere haben die Idee, ein Instagram-Profil des Kurses zu erstellen. Dann darf sich jeder Schüler ein iPad oder Macbook aus der blauen Kiste mit dem Apple-Aufkleber nehmen. Wenig später sitzen die Schüler_innen konzentriert mit ihren mobilen Endgeräten an den Tischen.
„Ich arbeite gerne mit Stift und Papier“
Guter Zeitpunkt, dieses Arbeiten mal genauer anzuschauen und den Schülern ein paar Fragen zu stellen. Zu meinem Erstaunen surft keiner der Schüler_innen auf Facebook, obwohl auf den iPads keine Einschränkungen zur Nutzung gespeichert sind. „Nee, hier ist nichts gesperrt. Klar gucken wir manchmal auf Facebook. Aber am Ende der Stunde muss jeder ein Ergebnis liefern“, erklärt Lisa. Die 16-Jährige hat sogar mal eine Musik-Klausur darauf „geschrieben“. Mit „GarageBand“ hat sie dazu einen eigenen Song komponiert. Aber auch in Mathe, Geschichte, Pädagogik und Deutsch tauschen die Schüler_innen ab und zu ihre Schulhefte gegen das iPad. Dann aber hauptsächlich zu Recherchezwecken oder zur Erstellung einer Präsentation. „Ist eben nur doof, wenn man selber kein Apple-Gerät zu Hause hat. Die Software ist ja nicht mit anderen kompatibel“, wirft Stefan ein, der bisher mit Kopfhörern auf den Ohren mit GarageBand Gitarren-Noten gespielt hat.
Dann entsteht unter den vier Jugendlichen eine kleine Apple-Diskussion, die die Frage aufwirft, wieso es eigentlich unbedingt iPads sein mussten. Spangs Antwort: „Damals gab es gar keine anderen transportablen Endgeräte. Zudem sind die Apps auf dem iPad alle qualitätsgeprüft. Sie werden nicht durch Werbung unterbrochen und sind sehr stabil.“ Aber auch zum Umgang mit den Geräten haben alle eine Meinung: „Ich finde es total blöd, mit dem iPad Texte zu schreiben. Man kann nicht gut unterstreichen und Notizen, wie in einem Buch, kann man sich auch nicht machen“, findet Sarah.
„Als Ausgleich zu anderen Unterrichtsstunden finde ich die iPad-Stunden immer toll. Heute zum Beispiel ist das ein toller Ausklang der Woche“, schwärmt Jana. Lisa bekommt bei längerer Arbeit an den mobilen Geräten Kopfschmerzen. „So ein paar Stunden in der Woche sind okay, würde die Schule auf die Idee kommen, nur noch mit Tablets zu arbeiten, würde ich die Schule wechseln. Da bin ich strikt dagegen.“ – „Ich arbeite einfach gerne mit Stift und Papier!“ Aber auch die Vorteile sehen die Schüler: „Medien sind ja Teil unserer Zukunft. Und nicht jeder hat so Geräte daheim.“ „Stell dir mal vor, hier würden 20 Schüler mit 20 verschiedenen Instrumenten sitzen. Das wäre verdammt anstrengend für Schüler und Lehrer. GarageBand ist da echt praktisch.“ Dann zeigt mir Lisa die App, mit der sogar schon Musik-Abitur-Prüfungen geschrieben wurden. Zuhause spielt sie aber lieber auf ihrem „echten“ Klavier.
Ich notiere: Kann die Wirklichkeit nicht ersetzen – auch nicht bei den Digital Natives.
Und das bestätigt auch André Spang: „Für die Schule ist ein guter Mix gut. Und Offenheit. Viele Lehrer verstehen das mit ,dem Internet‘ nicht. Denken, es wäre was Schlimmes und haben Angst davor“, erzählt der Internet-affine Lehrer überspitzt. Da es „mit dem Buch immer ging“, lehnen einige Lehrer den Einsatz von Tablets komplett ab. Eigentlich aus Platzmangel, da die zwei Informatikräume des Gymnasiums nicht mehr ausreichten, wurden die ersten 20 iPads vor zwei Jahren angeschafft. Von den 80 Lehrenden an seiner Schule nutzen sie jedoch nur ca. 50-60. „Wie man diese neuen Lerntechnologien voll und ganz ablehnen kann, kann ich einfach nicht verstehen.“ In seinen Fortbildungen versucht er regelmäßig, sein Kollegium von den mobilen Geräten zu überzeugen. Mittlerweile hat die Schule 60 und sie sind fast jede Stunde ausgebucht. Spang scheint seinen Kollegen die Angst davor also zu nehmen.
Der iPad-Lehrer bewegt einiges
Auch außerhalb der KAS hat seine Arbeit schon so einiges bewegt. Der Vorreiter des mobilen Lernens referiert bei verschiedenen Tagungen zum Thema und gibt Web-Seminare. Und einige springen mit auf aufs digitale Pferd: Heute gibt es 10 Tablet-Schulen alleine in Köln. Sogar ein SchulWiki, das diese Schulen gemeinsam nutzen können, hat der „iPad-Lehrer“ mit der Stadt Köln eingerichtet. Aber nicht nur Wikis wendet Spang im Unterricht an. Er nutzt zum Beispiel die Vorteile von Apps wie Twitter, Instagram und Vine. Wieso? „Das sind die Welten, in denen die Schüler heute leben.“
Bei der Erstellung der siebensekündigen Informations-Videos müssen die Schüler sich zuvor tief ins Thema einarbeiten und die wichtigsten Informationen aus dem Gelesenen rausfiltern. Und dann die wichtigsten Fakten mit Bild und Ton verknüpfen. Das ist nicht nur anspruchsvoll, sondern „macht auch noch eine Riesen-Gaudi“, findet Spang.
Sein Blog „Das iPad im Unterricht – Mobiles Lernen @ Kaiserin Augusta Schule“, über das er Lehrer-Kollegen und andere Interessierte erreicht, ist schon recht bekannt geworden. „Ich habe das Blog eingerichtet, um vor allem Kollegen Unterrichtseindrücke zu vermitteln.“ Wie wichtig ihm die Überzeugung seiner Berufsgenossen ist, zeigt auch sein neues Projekt: Der Twitter-Chat #edchat.de, eine Art „offene Lehrerfortbildung“. Seit September findet jeden Dienstag zwischen 20 und 21 Uhr der Chat unter dem Hashtag #EDchatDE statt. Im Vorhinein hat die Lehrer-Twitter-Gemeinde auf edhat.de eine Woche lang die Möglichkeit, durch Abstimmung das Thema der nächsten Woche zu bestimmen. Unter Moderation von André Spang aka @Tastenspieler und Torsten Larbig aka @herrlarbig kommen durchschnittlich 500-600 Tweets von ca. 80 Lehrern zusammen. Die Auswertung und ausführliche Dokumentation kann man sich anschließend auf der Website anschauen. So schafft es der Lehrer, mit viel Spaß an seiner Arbeit weitere Kollegen mit ins digitale Boot zu nehmen.
Digitale Zukunft Köln
An der KAS und an 10 weiteren Kölner Schulen findet man sie in menschlicher Gestalt: die Schüler. Gefördert von innovativen Lehrern wie André Spang.