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ToggleVor knapp vier Jahren starteten die ersten hyperlokalen Nachrichtenprojekte in Deutschland. Ihr Ziel ist, die Berichterstattung auf ein überschaubares Gebiet wie Straßenzüge oder Viertel einzugrenzen. Wie kann ein solches Projekt aussehen, und welche Rolle spielen hyperlokale Ansätze im klassischen Lokaljournalismus?
„Hyperlokal“ heißt ein aktueller Trend im Journalismus: Onlineportale oder Lokalzeitungen greifen die Geschehnisse vor der Haustür auf, die ansonsten den Weg in die klassischen Medien nicht schaffen. Das bewirkt, dass Berichterstattung zwar vielseitiger, gleichzeitig aber auch unübersichtlicher wird: „Traditionelle Journalisten erfüllen ja nicht zuletzt auch die Rolle eines Gatekeepers, der auswählt, welche Themen in die Zeitung rutschen – und welche nicht“, sagt Dr. Tobias Eberwein. Eberwein lehrt und forscht zu Print- und Online-Journalismus an der Technischen Universität Dortmund.
Der Trend zum Hyperlokalen untergräbt diese angestammte Rolle der Journalisten. Mit der Entwicklung des Web 2.0 wurden die Voraussetzungen geschaffen, um die User in journalistische Tätigkeiten einzubinden. Durch die Mitarbeit von Bürgern an hyperlokalen Nachrichtenprojekten steigt die journalistische Vielfalt und die inhaltliche Bandbreite der Berichterstattung. Sie äußern Themenvorschläge, kritisieren und kommentieren Artikel oder werden selbst zu Autoren eines Beitrags.
Seit März 2010 existiert das Online-Nachbarschaftsportal „Meine Südstadt“ im Kölner Innenstadtviertel Neustadt-Süd. Initiiert wurde das Projekt von Dirk Gebhardt, Andreas Moll und Tamara Soliz, die gemeinsam eine Online-Plattform „von Südstädtern – für Südstädter“ schaffen wollten. Aus dem anfänglich kleinen Kreis von (Hobby-)Journalisten um die Initiatoren entwickelte sich ein festes Redaktionsteam aus Südstädtern, die regelmäßig Beiträge verfassen und veröffentlichen. „Inhaltlich lassen wir unseren Redakteuren viel Freiraum für Kreativität“, sagt Dirk Gebhardt, Mitbegründer von „Meine Südstadt“. Das Autorenteam besteht aus rund zwanzig Redakteuren, die neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit für das Portal schreiben. Pro Artikel erhalten sie 30 Euro als Vergütung.
„Eine gehörige Portion Idealismus“ und zuverlässige Partner
Die Refinanzierung von Projekten wie „Meine Südstadt“ gestaltet sich relativ schwierig. Die bislang dominierenden Modelle der Refinanzierung durch Abonnements und Anzeigenverkauf sind in der Medienkrise keine verlässlichen Optionen mehr. Wissenschaftler Tobias Eberwein fordert Alternativen zur Refinanzierung von journalistischen Angeboten, von denen auch hyperlokale Projekte profitieren können: „Modelle der Refinanzierung, die sich bereits bewährt hätten, sehe ich zumindest im deutschen Sprachraum gegenwärtig noch nicht. In vielen Fällen funktionieren derartige Projekte bislang aber auch nur deshalb, weil sie von Akteuren mit einer gehörigen Portion Idealismus vorangetrieben werden. Das ist natürlich kein Geschäftsmodell, auf das sich dauerhaft bauen lässt.“ Möglicherweise stecken also auch der Ehrgeiz und das Engagement des gesamten Teams von „Meine Südstadt“ hinter dem Erfolg des Portals.
Ihren Lebensunterhalt können die drei Gesellschafter mit dem anfänglich als zeitlich begrenztes Projekt gedachten Portal nicht bestreiten, hauptberuflich geht jeder von ihnen einem klassischen Beruf wie Vermarkter, Grafiker oder Fotograf nach. Umsatz generiert das Kölner Nachbarschaftsportal durch die Rubrik „Unsere Partner“. Unternehmen der Südstadt können zu einer Servicegebühr von 50 Euro monatlich Partner von „Meine Südstadt“ werden und erhalten im Gegenzug ein üppiges Firmenportrait in Textform, eine Bildergalerie und Informationen zu Öffnungszeiten und Kontaktmöglichkeiten. Darüber hinaus erscheinen die Portraits täglich auf der Startseite des Portals, in einem wochentags erscheinenden „Lunch-Time-Newsletter“ finden sich die Mittagsgerichte der Restaurant-Partner. Dieser Newsletter wird am frühen Vormittag an mehr als tausend Abonnenten versendet. Die Privilegierung der Partner lässt eine fehlende Distanz zwischen Journalist und Anzeigenkunden vermuten – Gründungsmitglied Dirk Gebhardt kann allerdings beruhigen: „Da jeder Partner nur 50 Euro im Monat zahlt, können wir von einzelnen Unternehmen finanziell unabhängig bleiben und redaktionell frei handeln.“
„Hyperlokalität ist ein Teil der Zukunft des Lokaljournalismus“
Die auflagenstärkste Tageszeitung im Raum Köln ist der Kölner Stadt-Anzeiger (KStA). Entsprechend dem Charakter einer Lokalzeitung betreibt auch der KStA Lokalberichterstattung, abgestimmt auf seine jeweiligen Verbreitungsbezirke im Großraum Köln. Auch das Blatt des Kölner Verlagshauses M. DuMont Schauberg erkannte das Potenzial im Hyperlokalen: Im Jahr 2011 begann die Redaktion mit einer stärkeren Stadtteilberichterstattung. Seitdem erscheinen dienstags und donnerstags Stadtteil-Magazine, die die Nachrichten mehrerer „Veedel“ ineinander vereinen. Allerdings sind die Möglichkeiten einer Tageszeitung hinsichtlich des Hyperlokaljournalismus begrenzt: „Eine gedruckte Ausgabe einer Tageszeitung kann natürlich nicht so extrem hyperlokal werden wie ein Kiezmagazin, da die Ausgabenstruktur größere Einzugsgebiete zusammenfasst“, berichtet Michael Krechting, Ressortleiter „Digitale Medien“ beim Kölner Stadt-Anzeiger.
„Im digitalen Bereich hingegen kann eine Tageszeitung natürlich sehr stark hyperlokal werden“, ergänzt Krechting und verweist auf die Online-Inhalte, die sich auf einer Seite der KStA-Onlinepräsenz beispielsweise ausschließlich mit dem Kölner Stadtteil Ehrenfeld beschäftigen. „Zum Beispiel können im mobilen Portal Artikel standortbasiert ausgespielt werden, so dass der Nutzer alle Artikel abrufen kann, die zum Beispiel im Umkreis von hundert Metern um seinen aktuellen Standort spielen“, erläutert Krechting. Dies bezeichnet der Ressortleiter zwar noch als Zukunftsmusik – allerdings, so sagt er, müssen und werden diese Themen in der Umsetzung vorangetrieben werden.
„Höherer Nutzwert“ versus „geringerer Werbeeffekt“
Auf der Suche nach Verlorenem, Gebrauchtem, guten Dienstleistern oder Ausgehtipps werden täglich unzählige Anfragen an Suchmaschinen im Netz gestellt. Ergebnisse gibt es ausreichend – diese finden sich allerdings nicht auf den Seiten der ortsansässigen Tageszeitung. Diese Lücke versucht „Meine Südstadt“ zu schließen und bietet neben hyperlokalen Nachrichten aus Politik, Kultur, Gesellschaft und Sport weitere Features: Der prominent platzierte Terminkalender informiert über bevorstehende Veranstaltungen in der Südstadt. Eine Pinnwand zeigt Wohnungsgesuche, Angebote von gebrauchten Fahrrädern ebenso wie von Babysittern und Suchmeldungen zu entlaufenen Haustieren.
Die unmittelbare Betroffenheit der Leser sorgt beim Hyperlokaljournalismus dafür, dass der Nutzwert von Informationen für den Einzelnen steigt. Er fühlt sich durch Themen, die in seiner Straße oder seinem Viertel geschehen, eher angesprochen als durch große, übergreifenden Ereignisse und kann sich mit ihnen eher identifizieren. Problematisch ist, dass hyperlokale Berichterstattung automatisch eine „sehr spitze Zielgruppe anspricht“, kritisiert Michael Krechting allerdings: „Dies ist im Sinne der Vermarktung schwierig, weil dann die erzielbare Reichweite beziehungsweise der Werbeeffekt für den Anzeigenkunden geringer ist.“ Darüber hinaus sei die Betreuung von hyperlokalen Inhalten für eine Redaktion recht aufwendig. Aus wirtschaftlicher Sicht also ein Manko.
Abseits vom wirtschaftlichen Aspekt drängt sich die Frage auf, wo sich hyperlokale Projekte lohnen und zumindest teilweise rentieren – Tobias Eberwein stellt die These auf, dass Hyperlokaljournalismus eine Ergänzung für die klassische Berichterstattung darstellen kann: „Sind bestimmte geografische Einheiten oder einzelne Themen in der herkömmlichen Lokalberichterstattung unterrepräsentiert, kann Hyperlokaljournalismus dabei helfen, diesen Mangel zu korrigieren.“
Kann Hyperlokaljournalismus den klassischen Lokaljournalismus ersetzen?
Michael Krechting sieht Hyperlokaljournalismus als „Teil der Zukunft des Lokaljournalismus“, der vor allem im digitalen Raum an Bedeutung zunehmen wird. Aus seiner Sicht wird in Zukunft weiterhin Journalismus lokaler Prägung existieren, dies allerdings in abgewandelter Form: „Unsere Erfahrung ist, dass es neben dem, was ‚vor der Haustür‘ passiert, auch eine Menge übergreifender Themen gibt, die die ganze Stadt bewegen. Die Herausforderung ist, dass wir diese Themen dann natürlich auch hyperlokal aufarbeiten, indem wir sie auf einzelne ‚Veedel‘ oder Bezirke herunterbrechen.“
Der Journalismusforscher Tobias Eberwein glaubt ebenfalls nicht, dass der Lokaljournalismus vom Hyperlokaljournalismus übernommen wird. Er sieht im klassischen Journalismus die Funktion, anhand von Relevanzkriterien über Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung von Themen zu entscheiden – ein System, dass sich seiner Meinung nach bewährt hat. Dennoch muss sich der Lokaljournalismus gegenüber den neuen Trends öffnen: „Speziell die Potenziale zur Nutzereinbindung, die der hyperlokale Journalismus ja sehr ernst nimmt, bieten für den Lokaljournalismus neue Chancen – etwa wenn es darum geht, Themen aufzuspüren, Kontakte für die Recherche zu knüpfen und so weiter.“ Er schätzt, dass die hyperlokalen Einflüsse die klassische Lokalzeitung verändern werden – ihre Daseinsberechtigung würde sie dadurch allerdings nicht verlieren.
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